Laura Fernandez-Gromova sitzt auf der Terrasse des Restaurants Bernadette beim Zürcher Opernhaus. Die 23-jährige Schweizerin möchte eigentlich nicht hier sein – nicht weil sie sich um ein Mittagessen oder ein Gespräch foutieren würde, sondern weil sie für diesen Winter ganz andere Pläne hatte. Nämlich am Stanislawski-Theater in Moskau als Solistin weiter an ihrer Tänzerinnenkarriere zu arbeiten. «Ich habe das Leben in Moskau geliebt. Russland ist das Beste, was es im Ballett gibt.»
Die zierliche Frau wuchs in Wollerau SZ auf, absolvierte die ganze Schulzeit in der Schweiz. Doch dies ist nur die halbe Wahrheit. Laura beherrscht auch das Russische perfekt. Ihre Mutter Natalia stammt aus der Ukraine und vermittelte der Tochter früh Kultur und Lebensgefühl des Ostens. Dass Laura als Tänzerin den Weg nach Russland ging, ist für die Mutter schon fast ein übersinnliches Zeichen: «Laura ist ihrer russischen Seele gefolgt.»
Gegen die Bedenken des Vaters
Der Vater, Softwareunternehmer Francisco Fernandez, beobachtete das Tun seiner Tochter mit Skepsis. «Er hätte es lieber gesehen, wenn sie eine konventionelle Ausbildung gemacht hätte, mit Gymnasium und danach Universität», erzählt Natalia. Doch Laura setzte sich gegen die väterliche Skepsis durch - und setzte sich im knallharten Konkurrenzkampf des russischen Balletts durch.
Jetzt aber ist Laura wieder in Zürich. Sie spricht mit leiser Stimme, stockt ab und zu, als scheine sie gegen die Tränen zu kämpfen. Obwohl sie, wie sie selber sagt, 24 Stunden am Tag ans Tanzen denkt und alles für ihren Traum macht, hat sie es in Moskau nicht mehr ausgehalten. Als Tochter einer ukrainischen Mutter und Besitzerin des ukrainischen Passes wurde sie von den Rechtfertigungsversuchen ihrer russischen Tanzkolleginnen und -kollegen aus dem seelischen Gleichgewicht gebracht: «Ich konnte es moralisch nicht mehr vertreten, dass mir ständig erklärt wurde, Putins Strategie sei richtig – und der Krieg eine Befreiung der Ukraine.
Laura Fernandez-Gromova weiss es besser: Ihre Mutter stammt aus Mariupol. Wochenlang hörte sie nichts von ihren Verwandten dort. Und als doch wieder Neuigkeiten durchdrangen, waren diese erschütternd. Laura Fernandez: «Meine Tante starb im Bombenhagel. Mein Onkel hat nur überlebt, weil er den Keller für eine Zigarettenpause verlassen hatte. Als er vor dem Haus stand, schlugen die Bomben ein. Seine Frau konnte er nur noch tot bergen.»
Solisten-Traum wurde war
Die Wirren des Kriegs haben Laura mit einer völlig neuen Realität konfrontiert: «Ich hatte stets das Gefühl, dass ich eine Russin bin. Doch plötzlich werde ich von den Russen wegen meines ukrainischen Passes angefeindet.» Dies ist umso absurder, als Laura Fernandez perfekt Russisch spricht und seit rund sechs Jahren in Russland ein glückliches Leben geführt hat. Als erste Schweizerin schaffte sie den Sprung ins Corps de Ballet des renommierten Mariinski-Theaters in St. Petersburg. 2020 wechselte sie als erste Solistin ans Stanislawski-Theater: «Ein Traum wurde wahr.»
«Hoffte, dass der Krieg schnell vorbei ist»
Der Krieg in der Ukraine hat diesen Traum nun zerstört. Vielleicht für immer. In der gegenwärtigen Situation könne sie nicht mehr nach Moskau zurück – «auch wenn ich die Stadt, den Tanz und die Menschen dort liebe, die meisten auf jeden Fall». Nach Zürich ist sie quasi im letzten Moment gekommen – als es schon keine Flüge mehr gab: «Ich hoffte innig, dass der Krieg nach ein paar Tagen vorbei ist.» Ein frommer Wunsch.
Ballett ohne Grenzen
Aus Zürich will sie nun gemeinsam mit 12 Freunden und Kollegen die Menschen in der Heimat finanziell und symbolisch unterstützen: an einer Benefizgala im Kongresshaus, die ihre Mutter organisiert hat. Der Abend mit dem Titel «Ballett ohne Grenzen» vereint Tänzerinnen und Tänzer aus der Ukraine und aus Russland, der Ertrag soll Kindern und Müttern in Mariupol zugutekommen.
Laura sagt: : «Zürich ist meine Heimat, hier hat alles angefangen. Ich freue mich riesig.» Umso mehr, weil die ganze Familie sie zum ersten Mal tanzen sehen wird. Auch der Onkel und der Cousin aus Mariupol. Nach den Angriffen hat Natalia Gromova ihnen bei der Flucht geholfen, nun leben beide im Haus Fernandez-Gromova in Wollerau. Tanz ohne Grenzen. Hilfe ohne Grenzen.
Ballett ohne Grenzen. Freitag, 3. Februar, 19.30 im Kongresshaus der Stadt Zürich. Ticket via ticketcorner erhältlich.