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07.03.2023
07.03.2023 10:05 Uhr

Bienenhilfe: «Jede Blüte zählt»

Wildbienen sind auf ein vielfältiges Nahrungsangebot angewiesen. Bild: bienen.ch
Seit ein paar Wochen sind einzelne Bienen bei warmen Temperaturen unterwegs. Wie überstehen sie den aktuellen Winter mit den wechselhaften Temperaturen? Erwin Reutimann, Präsident vom Kantonalverband Zürcher Imkervereine, gibt Auskunft.

Der Winter ist dieses Jahr sehr wechselhalft, mal war es frühlingshaft warm, dann wieder sehr kalt. Wie gehen die Bienen mit diesen Temperaturschwankungen um?

Erwin Reutimann: Für die Honigbienen ist dies grundsätzlich kein Problem, sofern die Anzahl Bienen im Bienenvolk angemessen ist und ausreichend Futtervorräte vorhanden sind. Bei Temperaturen über 10 Grad finden kurze Ausflüge statt, bei Minustemperaturen bildet das Bienenvolk in seiner Behausung (Beute genannt) eine sogenannte Wintertraube. Im Zentrum dieser «Traube» befindet sich die Königin. Hier liegt die Temperatur bei rund 25 Grad. Die Wärme wird erzeugt, indem die Bienen mit ihrer Flügelmuskulatur zittern. Werden die Tage länger, beginnt die Königin mit der Eiablage. Für die Brutpflege ist dann eine Temperatur von rund 35 Grad nötig. Das braucht viel Energie und eine grössere Anzahl Bienen. Deshalb ist es wichtig, dass die Völker genügend Futterreserven haben und im Herbst zuvor nur starke Völker eingewintert wurden.

«Werden sämtliche Wiesen in unserer Region gemäht, so wird es mit der Nahrung für die Bienen knapp.»
Erwin Reutimann, Präsident Kantonalverband Zürcher Imkervereine

Und wie sieht es bei den Wildbienen aus?

Nebst unserer Honigbiene gibt es etwa 600 Wildbienenarten in der Schweiz. Die meisten dieser Wildbienen sind Einzelgängerinnen und bilden keine Staaten wie die Honigbienen. Ihr Nachwuchs überwintert als ausgewachsenes Insekt, als Larve oder Puppe in hohlen Pflanzenstängeln, in der Erde oder in Totholz. Die grosse Herausforderung der einzelnen Wildbienenweibchen ist es, in den Sommermonaten ausreichend Proviant für Nachkommen zu sammeln, welche dann zahlreich den Winter überstehen können. Sie benötigen einerseits Nistgelegenheiten und andererseits ein üppiges Angebot an Blüten. Das vielerorts mangelhafte Nahrungsangebot in den Sommermonaten ist für sie existenzbedrohend.

«Wir Imkerinnen und Imker wollen die Schweiz zum Blühen bringen. Dafür brauchen wir die Hilfe aller.»
Erwin Reutimann

Sie sprechen vom fehlenden Blütenangebot. Ist das die Ursache des immer wieder angesprochenen Bienensterbens?

Mit dem Begriff “Bienensterben” tun wir Imkerinnen und Imker uns etwas schwer. Schauen wir gewissenhaft zu den Bienenvölkern, dann überleben diese in der Regel gut. Fakt ist aber, dass die Natur heute weniger hergibt als vor Jahrzehnten. Deshalb kommt es zu Nahrungslücken unter dem Jahr. Sind jeweils kurz nach dem 15. Juni (frühster Termin, damit es für Landwirte Direktzahlungen für Ökowiesen gibt) sämtliche Wiesen in unserer Region gemäht, so wird es mit der Nahrung für die Bienen knapp. Die Förderung des Blütenangebots ist eine wesentliche Massnahme, um dem entgegenzuwirken.

Was kann dagegen unternommen werden? Haben Sie konkrete Vorschläge?

Die Lösung ist einfach: Über die Saison braucht es mehr blütenreiche Lebensräume. Jede Blüte zählt: Einheimische Wildblumen in einem Topf auf dem Balkon, der blühende Klee im Rasen und Blumen mit offenen Blüten im Blumenbeet. Aber auch blühende Hecken sind wichtig: Die goldgelb blühenden Forsythien sind zwar schön, aber für alle Bestäuber nutzlos. Wer diese durch Kornelkirschen ersetzt, hört im zeitigen Frühjahr schon bald das Summen der Bienen. BienenSchweiz, unser Dachverband in der deutschen und rätoromanischen Schweiz, hat eine Blühflächenoffensive gestartet (Zürioberland24 berichtete).

Wir Imkerinnen und Imker wollen die Schweiz zum Blühen bringen. Dafür brauchen wir die Hilfe aller. Jede und jeder kann etwas für die Bienen tun. Oft braucht es dazu nur wenig: Einfach den Garten weniger aufräumen und möglichst alles blühen lassen. Totholz oder abgestorbene Pflanzenstängel bleiben stehen, offene Bodenstellen werden geschaffen. Dies bietet den Wildbienen wertvolle Nistgelegenheiten – besser als jedes Insektenhotel aus dem Handel. Um fundiert und konkret zu lernen, was man selbst in seinem Umfeld Gutes für die Bienen tun kann, bietet Bienen Schweiz auch die «Kurse Bienenschutz» an.

«Viele glauben, sie würden mit dem Halten von Bienen ein Problem lösen.»
Erwin Reutimann

Was sagen Sie denn jemanden, der in die Bienenhaltung einsteigen möchte? Macht das vor dem Hintergrund des zu knappen Blütenangebotes Sinn?

Viele glauben, sie würden mit dem Halten von Bienen ein Problem lösen. Deshalb möchten zum Beispiel Firmen oftmals Bienenvölker auf ihre Dächer stellen. Das ist zwar gut gemeint, aber dafür kann es das Problem des knappen Nahrungsangebotes in gewissen Gebieten sogar verschärfen.

Bevor man mit dem Imkern beginnt, muss man sich einige wichtige Gedanken machen: Wie sieht es mit der Bienendichte an meinem bevorzugten Standort aus? Kann dieser Ort noch weitere Honigbienenvölker vertragen? Ist das Blütenangebot über einen längeren Zeitraum im Jahr vorhanden? Diese Fragen zu beantworten ist nicht einfach. Ich empfehle Interessierten deshalb, sich an den örtlichen Imkerverein zu wenden.

Hinzu kommt, dass das Imkern nebst hoher Flexibilität und Zeitaufwand auch viel Wissen und Können braucht. Deshalb ist es zentral, dass alle Einsteigerinnen und Einsteiger eine fachlich gute Grundausbildung absolvieren. Nur schon der Umgang mit der Varroamilbe ist eine grosse Herausforderung: Dieser Schädling ist seit rund 40 Jahren in allen Völkern präsent. Die Imkerschaft muss den Befall überwachen und eingreifen, wenn eine gewisse Schadschwelle überschritten ist. Bienenvölker, die mangelhaft oder überhaupt nicht gepflegt und unterstützt werden, haben kaum Chancen, länger als 2-3 Jahre zu überleben.

Wer Interesse an den Bienen hat, aber nicht sicher ist, ob er oder sie die Zeit in die Imkerei investieren kann und will, absolviert besser zuerst einen Bienenschutzkurs von Bienen Schweiz. Dort wird auch konkret gezeigt, wie Honig- und Wildbienen aber auch andere Bestäuber unterstützt und gefördert werden können.

Zum Schluss nochmal zu den Honigbienen: Was können Sie denn über unsere Region und das vergangene Bienenjahr berichten?

Das Jahr 2021 stellte für die Bienen, aufgrund des regnerischen und kühlen Wetters, eine grosse Herausforderung dar. Um nicht zu verhungern, mussten die Völker teils früh gefüttert werden. 2022 sah es dann deutlich besser aus. Der Frühling bot überdurchschnittlich viele sonnige Flugtage an und dies zu einer Zeit, in der das Blütenangebot in Massen vorhanden war. So konnten Obstblüten, Löwenzahn und Raps rege beflogen werden. Die Bienen fühlten sich sichtlich wohl und entwickelten sich zu starken Völkern. Auch die Frühlingshonigernte fiel dementsprechend gut aus.

Wie haben die Bienen die grosse Trockenheit im Sommer 2022 überstanden?

Die Hitze ertragen die Bienen gut. Die Trockenheit führte aber dazu, dass die Pflanzen wenig Nektar produzierten oder das Angebot gar ganz versiegte. Typische Sommerblüher, wie zum Beispiel die Linde, gaben deshalb eher wenig her. Je nach Gebiet konnte aber ein köstlicher Waldhonig geerntet werden.

Um ein möglichst grosses und vielfältiges Blütenangebot über die ganze Saison zu schaffen, braucht es die Unterstützung aller. Mit der Offensive für Blühflächen vernetzt BienenSchweiz Personen, die auf ihrem Land Blühflächen schaffen mit denen, die dies finanziell unterstützen möchten. www.bienen.ch/bluehflaechen

Kurse Bienenschutz: BienenSchweiz bietet Bienenschutz-Kurse an, in denen die Teilnehmer/-innen lernen, wie sie verschiedenen Bienenarten in ihrem Umfeld sinnvoll helfen und schützen können. www.bienen.ch/kurs

BienenSchweiz ist der Imkerverband der deutschen und rätoromanischen Schweiz und vertritt 14‘000 Imkerinnen und Imker. www.bienen.ch

BienenSchweiz / Zürioberland24/herisau24.ch