- Kolumne von Dr. Philipp Gut
Die immerwährende und bewaffnete Neutralität gehört zu den tragenden Staatssäulen der Schweiz. In Umfragen erzielt sie regelmässig rekordhohe Zustimmungswerte. Doch seit dem russischen Überfall auf die Ukraine scheint plötzlich alles anders zu sein: International nimmt der Druck auf die Schweiz stark zu, die Neutralität aufzuweichen. Und auch Schweizer Politiker machen dabei mit.
Glaubwürdig ist nur die bewaffnete Neutralität
So verständlich der Impuls ist, dem Opfer eines Angriffskriegs zu helfen: Es ist unverantwortlich, die Neutralität aufzugeben. Sie ist in Jahrhunderten gewachsen und hat sich vielfältig bewährt.
Die glaubwürdige Neutralitätspolitik der Schweiz hat massgeblich dazu beigetragen, dass wir von zwei Weltkriegen verschont geblieben sind. Glaubwürdig ist die Neutralität aber nur, wenn sie bewaffnet ist – das heisst, wenn wir unser Territorium auch verteidigen können.
Vermittler in Konflikten
Die Neutralität hilft aber nicht nur uns selbst, sie trägt auch zu Stabilität und Frieden in der Welt bei. Als neutraler Kleinstaat, der mit Machtpolitik nichts am Hut hat, sind wir ein glaubwürdiger Vermittler in internationalen Krisen und Konflikten. Unsere Guten Dienste sind weltweit geachtet und gefragt.
Man kann nicht halb neutral sein
Allerdings setzen wir das aufs Spiel, wenn wir Zweifel an unserer neutralen Haltung aufkommen lassen.
Dabei vergessen die Kritiker der Neutralität, dass uns das Neutralitätsrecht zu neutralem Handeln verpflichtet und dass Neutralität konsequent sein muss. Der Autor und ehemalige Diplomat Paul Widmer hat es treffend gesagt: Man kann nicht halb neutral sein – wie man auch nicht halb schwanger sein kann.
Die Gedanken sind frei
Die Totengräber der Neutralität vergessen auch, dass politische und juristische Neutralität nicht gleichbedeutend sind mit Gesinnungsneutralität. Die Gedanken sind frei.
Das zeigt das Beispiel von Winston Churchill: Als der britische Kriegspremier nach dem Zweiten Weltkrieg die Schweiz besuchte, jubelten ihm die Schweizerinnen und Schweizer zu wie keinem ausländischen Politiker vor und nach ihm. Trotz der Tatsache, dass die Sympathien klar verteilt waren, hielt die Schweiz in diesen schwierigen Zeiten an ihrer Neutralität fest.
Neutralität hilft allen
Unsere neutrale Position war auch damals interner und externer Kritik ausgesetzt. Doch das müssen wir aushalten können.
Denn die Neutralität hilft am Ende allen.