
Wölfe schleichen ganz nah herum – Politiker nehmen Augenschein auf Alp


Auf der Alp Schräa im Calfeisental tummelt sich ein Wolfsrudel in unmittelbarer Nähe der Alphütte. Jegliche Vertreibungsversuche der Hirtin, die sich alleine auf der Alp befindet, scheiterten. Das Amt für Jagd, Natur und Fischerei (Anjf) sieht im Auftreten der Wölfe kein unerwünschtes oder gar problematisches Verhalten gegenüber Menschen.
Liste an Forderungen zusammengestellt
Der Landwirtschaftsrat des St.Galler Bauernverbands (SGBV) hatte am Mittwoch, 9. August, eine Liste von Forderungen zuhanden der Regierung zusammengestellt. Eine Forderung lautete, dass sich Regierungsrat Beat Tinner zeitnah persönlich einen Eindruck auf der Alp Schräa verschafft. Daraufhin folgten schnell Taten. Der St.Galler Bauernverband (SGBV) organisierte eine Medienkonferenz im Calfeisental auf knapp 2000 Meter über Meer. Regierungsrat Tinner, Peter Nüesch, Präsident des SGBV, Mathias Rüesch, Geschäftsführer SGBV, Markus Ritter, Nationalrat und Präsident des Schweizer Bauernverbands, und Ständerätin Esther Friedli schnürten die Wanderschuhe und nahmen den anspruchsvollen, rund zweistündigen Weg von Sankt Martin (1350 m) hinauf zur Tristelihütte (1994 m) unter die Füsse.
Mit Wölfen konfrontiert
125 Rinder und Mutterkühe weiden werden auf der Alp Schräa gealpt. Die 20-jährige Lorena Ritter ist Studentin und angehende Lehrerin. Die junge Frau ist taff und alperfahren. Seit Kindesbeinen an geht sie z’Alp. Diesen Sommer ist sie das erste Mal auf der Alp Schräa und sieht sich mit einer neuen Situation konfrontiert: Mit Wölfen. Bereits im Frühling hatte sie mehrmals einen Wolf gesehen. Sie habe dies gemeldet, aber nie eine Rückmeldung erhalten.
Am 29. Juli hat sich die Wolfsfamilie das erste Mal rund 20 Meter vor der Tristelihütte aufgehalten. Sie schilderte die beinahe täglichen Begegnungen mit den Wölfen. Sie erzählt von versuchten Angriffen aufs Vieh, von verstörten Kühen, einem geschwächten Kalb. Sie erzählt vom Wolfsrüden, der an einem Morgen vor der Hüttentüre stand. Beim diesem Rüden handelt es sich um jenen Wolf, der im letzten Jahr auf der Alp Brändlisberg ein Rind gerissen hatte.
Ohne Scheu schleichen sie um die Alphütte
Die Wölfe nähern sich ihr ohne Scheu, schleichen um die Alphütte, die Welpen spielen mitten in der Rinderherde. Die Wurfhöhle und der Rendezvousplatz (Treffpunkt der Wolfsfamilie) befindet sich ganz in der Nähe der Alphütte. «Mir ist vom Anjf geraten worden, ihnen schreiend mit einem Stecken hinterher zu rennen und sie zu vertreiben. Genützt hat es nicht.» Der Wildhüter kam am 3. August auf die Alp. Es sei ihr empfohlen worden, nachts die Hütte nicht mehr zu verlassen und den Hund an die Leine zu nehmen. «Ich habe Verantwortung für die Rinder, ich halte Nachtwache, um die Tiere zu schützen – und ich schlafe sogar draussen.» Sich nachts in der Hütte zu verstecken, sei für sie keine Lösung.
Gesuch für Abschuss eingereicht
Regierungsrat Beat Tinner ist Vorsteher des Volkswirtschaftsdepartements des Kantons St.Gallen. Er verwies auf die Medienmitteilung vom Freitag, 11. August, hin. In der Nacht vom 8. auf den 9.August wurden auf der Alp Gafarra im Weisstannental drei Schafe in einer geschützten Herde gerissen. Bereits zuvor fielen Schafe dem Wölfen zum Opfer. Die Risse können dem Calfeisenrudel zugeordnet werden. Die Schadensschwelle von acht Nutztieren wurde überschritten. Der Kanton hat beim Bund den Abschuss von drei Welpen beantragt.
Nicht eindeutig geklärt sei, welche Gefährdung für den Menschen durch das Rudel bestehe. Da gäbe es unterschiedliche Vorstellungen. Ein Eingriff aufgrund der Gefährdung eines Menschenlebens sei hier aus fachlicher Sicht nicht erfüllt. «Wir lassen die Situation aber von unserem Rechtsdienst unabhängig beurteilen.»
Immer mehr Wölfe
Peter Nüesch präsidiert den SGBV seit zehn Jahren. Er zeigte auf, wie die Wolfspopulation in dieser Zeit gewachsen ist. Heute leben in der Schweiz 26 Rudel und rund 250 Wölfe. In den letzten zehn Jahre sei von der Landwirtschaft der Herdenschutz aufgebaut worden. Schafherden müssen geschützt werden und dies mit grossem Aufwand. «Von Wolfsspezialisten hiess es, dass keine Rinder angegriffen werden. Im letzten Jahr hatten wir im Kanton St.Gallen den ersten Rinderriss», so Nüesch. «Dass nun das Verhalten eines Rudels, das sich vor und um die Alphütte aufhält und keine Scheu zeigt, als Verhaltensnormal eingestuft wird, können wir nicht akzeptieren.»
Er wies auf die neue Jagdverordnung hin, die seit 1. Juli in Kraft ist. Diese müsse umgesetzt werden. Ansonsten werde ein Nebeneinander von Wolf und Nutztieren scheitern. Er zeigte die weiteren Forderungen des Landwirtschaftsrats auf, der verlangt, dass der verhaltensauffällige Wolfsrüde zum Abschuss freizugeben und das Rudel vergrämen wird. Ebenfalls wird im Allgemeinen erwartet, dass bei verhaltensauffälligen Wölfen und Rissen ein Wildhüter innert Tagesfrist vor Ort zu erscheinen hat und dass der Wildhüter eine kompetente, praxistaugliche Beratung vor Ort mit den betroffenen Tierhaltern führt.
«Alpwirtschaft ist wichtig»
Ständerätin Esther Friedli sprach ihren Respekt für das Alppersonal aus und wünscht sich, dass die Wildhut die Probleme der Hirtinnen und Hirten ernst nimmt und die Älpler unterstützt. Die Alpwirtschaft sei wichtig für die Landwirtschaft, präge das Landschaftsbild und sei deshalb auch für den Tourismus relevant. Deshalb müsse man der Alpwirtschaft Sorge tragen.
Markus Ritter, Nationalrat und Präsident des Schweizer Bauernverbands, machte auf das revidierte Jagdgesetz und den neuen Gesetzesartikel (Art.9ter) aufmerksam. Dieser erlaubt den Kantonen den Einzelabschuss eines Wolfes aus einem Rudel, wenn eine schwere und unmittelbar drohende Gefahr für den Menschen besteht. Der Schweizer Bauernverband fordert nun, dass die seit 1. Juli geltende Änderung der Jagdverordnung konsequent umgesetzt wird. Die nötigen Mittel für die Notmassnahmen im Bereich des Herdenschutzes müssen zur Verfügung gestellt werden. Die gesprochenen vier Millionen Franken würden nicht reichen. Es brauche zusätzlich drei Millionen Franken über Nachtragskredite für das Jahr 2023 und genügend Mittel für das Jahr 2024. «Das revidierte Jagdgesetz ist per 1. Januar 2024 umzusetzen», verlangt Ritter.
