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Kultur
30.08.2023

Von Mauthausen nach St.Gallen 1: Die Rettung

Das KZ Mauthausen bei seiner Befreiung Bild: Archiv
Mauthausen war das grösste Konzentrationslager Österreichs. Seine Insassen wurden am 5. Mai 1945 von den Amerikanern befreit; einige von ihnen kamen dank des Roten Kreuzes nach St.Gallen. Alt-Stadtarchivar Ernst Ziegler zeichnet ihre Geschichte nach. Teil 1: Der Retter von Mauthausen.

Am Donnerstag, dem 9. März 2023, erhielt ich Besuch von Sylvie Bianchi und ihrem Mann Christian aus Maule in Frankreich. Sie suchten nach Spuren ihrer Grossmutter Nelly Mousset-Vos (1906–1987) und deren Freundinnen Jeanne Debue und Carmen D'Aubreby. Nelly war als Überlebende des Konzentrationslagers Mauthausen bei Linz in Österreich 1945 nach St.Gallen gekommen.

Am Freitag, dem 10. März 2023, wurde in Basel der Film «Nelly & Nadine» gezeigt: «Filmvorführung und Gespräch mit Nellys Enkelin Sylvie Bianchi». Zu Nelly Mousset-Vos erfuhr ich von Sylvie Bianchi Folgendes: Nelly war verheiratet und hatte zwei Kinder. Sie war Opernsängerin und während des Zweiten Weltkriegs Widerstandskämpferin. Sie wurde 1943 in Paris verhaftet, kam ins Gefängnis Saint-Gilles in Belgien, dann 1944 ins Konzentrationslager Ravensbrück und schliesslich nach Mauthausen.

Zum erwähnten Film erhielt ich unter anderem folgenden Text: «Nelly & Nadine ist die unwahrscheinliche Liebesgeschichte zwischen zwei Frauen, die sich an Heiligabend 1944 im Konzentrationslager Ravensbrück ineinander verlieben. Obwohl sie in den letzten Kriegsmonaten getrennt wurden, gelingt es Nelly und Nadine, sich später wiederzufinden und den Rest ihres Lebens gemeinsam zu verbringen. Viele Jahre lang wurde ihre Liebesgeschichte geheim gehalten, selbst vor einigen ihrer engsten Familienangehörigen. Nun hat Nellys Enkelin Sylvie beschlossen, das persönliche Archiv von Nelly und Nadine zu öffnen und ihre bemerkenswerte Geschichte aufzudecken.»

Im Hadwigschulhaus konnte ich den Ort zeigen, wo die Opfer der Konzentrationslager 1945 empfangen wurden, und die ersten Dokumente und Fotos vorlegen. – Nachforschungen in St.Gallen verliefen dagegen erfolglos: Nelly Mousset-Vos finde ich in den mir im Stadtarchiv St.Gallen zur Verfügung stehenden Unterlagen nicht; ihr Name konnte in Listen und Verzeichnissen (beispielsweise in «Flüchtlinge, welche das Luftschutz-Notspital Waisenhaus St.Gallen passiert haben») nicht gefunden werden. Nelly war vermutlich physisch nicht «sehr krank», psychisch jedoch schon. Sie konnte in Konstanz «un tour de ville avec Jeanne» unternehmen und zwei Nächte lang «dehors entre les camions» schlafen, so dass sie wohl nicht ins Notspital aufgenommen werden musste. Zudem verbrachte sie nur fünf Tage in St.Gallen. Vermutlich fertigte man von solchen «Kurzaufenthaltern» keine Listen an.

Der Frauentrakt nach der Befreiung Bild: Archiv

MAUTHAUSEN

Im 1938 eingerichteten Konzentrationslager Mauthausen kam es im Frühjahr 1945 zu Verhandlungen zwischen SS-Leuten und Vertretern des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK). Die SS stimmte damals Hilfsaktionen und Lebensmitteltransporten für KZ-Häftlinge zu. Im April erreichten dann Rotkreuz-Camions Mauthausen. Sie liessen Lebensmittelpakete dort und nahmen männliche und weibliche Häftlinge mit in die Schweiz. Am 6. Mai 1945 wurde Mauthausen von Einheiten der dritten US-Armee befreit. «Über 17'000 männliche und mindestens 2500 weibliche Häftlinge» wurden damals befreit.

Zum 25. Jahrestag der Befreiung Mauthausens wurde Louis Haefliger zum «Held der Résistance» ernannt Bild: Archiv

DER RETTER VON MAUTHAUSEN

Der Delegierte des IKRK war der Schweizer Bankbeamte Louis Haefliger (1904–1993), der später von Genfer Bürokraten des IKRK für seine «eigenmächtigen Handlungen» verurteilt und entlassen wurde. Israel und Österreich ehrten ihn als «Retter von Mauthausen», denn die Rettung der Häftlinge von Mauthausen ist «eine der bedeutendsten Taten eines einzelnen Menschen in der Rotkreuzgeschichte», was der Genfer Funkaktionärsgeist nicht wahrhaben wollte. Erst 1990, drei Jahre vor seinem Tode, wurde Louis Haefliger vom Präsidenten des IKRK rehabilitiert.

Lesen Sie in der nächsten Folge: Flüchtlinge in St.Gallen.

Neuankömmlinge im KZ Mauthausen Bild: Archiv

Das Konzentrationslager Mauthausen war das grösste Konzentrationslager der Nationalsozialisten auf dem Gebiet Österreichs, der Ostmark, ab 1942 Alpen- und Donau-Reichsgaue. Es befand sich 20 Kilometer östlich von Linz in Mauthausen und bestand vom 8. August 1938 bis zu seiner Auflösung nach der Befreiung seiner Insassen durch US-amerikanische Truppen am 5. Mai 1945.

Im KZ Mauthausen und seinen Nebenlagern wurden rund 200.000 Menschen inhaftiert, von denen mehr als 100.000 ums Leben gekommen sind. Auf dem Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers befindet sich seit 1947 eine Mahn- und Gedenkstätte der Republik Österreich.

Ernst Ziegler