Mit dem Transport vom 24. April 1945 war auch Nelly Mousset-Vos aus Mauthausen nach St.Gallen gekommen (siehe Teil 2, «Flüchtlinge in St.Gallen». In ihrem «Journal de captivité» schrieb sie:
«Wir durchqueren Österreich. Mit knapper Not können wir den Bombardements ausweichen, beispielsweise jenem von Linz. Der Volkswagen mit einem deutschen Lageroffizier, welcher der Kolonne folgt, und, leider, auch der Schweizer Arzt, der gekommen war, uns zu befreien, mussten umgekommen sein. Am Stadtausgang sind die Camions angehalten worden, und wir haben lange auf den kleinen Wagen gewartet. Er ist nicht mehr aufgetaucht.
Alle Orte, durch die wir kommen, sind furchtbar bombardiert worden. Wir begegnen Schützen, vereinzelten Truppen auf den Strassen, sehen Luftkämpfe. Die Camions fahren mit grosser Geschwindigkeit. Wir passieren, sagt man uns, die Feuerlinie. Es war nicht so, wie ich mir die Sache vorgestellt hatte.
Während der ersten Nacht schlafen wir sehr schlecht in diesem Camion. Alle Städte sind zerstört und können uns nicht aufnehmen. Am zweiten Tag durchqueren wir Bayern, eine sehr schöne Landschaft, aber verdüstert durch dunkle Tannen und durch heftige Regenschauern, Schnee und Hagel. Deutschland scheint wütend über uns zu sein und uns mit Windstössen verjagen zu wollen. Gegen Mittag verändert sich die Landschaft; sie wird milder. Im Hintergrund die mit Schnee bedeckten Alpen; der Strasse entlang blühende Obstbäume und grüne Wiesen. Dann erschien gleichzeitig mit der Sonne der Bodensee. Das ganze deutsche Ufer ist zerstört, bezaubernde und heitere Orte, wo man gut hatte leben können.
Bei Sonnenuntergang überqueren wir den See. In Konstanz neue Aufregung: Die Stadt ist zur offenen, unverteidigten Stadt erklärt worden. Die Schweizergrenze soll geschlossen sein. Ich schlafe zwischen zwei Camions im Freien. Ich kann es nicht mehr ertragen, eingesperrt zu sein. Ein heller, glänzender Mondschein. Ich fühle mich nicht wohl; Deutschland lastet noch auf mir; ich bin noch in seiner Gewalt. Der heutige Morgen ist vorübergegangen zwischen Hoffnung und Angst. Kommt man durch oder nicht? Verweigern uns die Deutschen im letzten Moment die Ausreise? Das geht so weit, dass wir uns vorstellen, die Schweiz könnte uns den Eintritt ins Land verwehren.