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09.10.2023
09.10.2023 07:23 Uhr

Infoanlass zur Gemeindefusion entfacht emotionale Debatte

Bild: herisau24.ch/Vanessa Vogt
Das Bürgerforum Appenzell Ausserrhoden organisierte am Freitag, 6. Oktober 2023, einen öffentlichen Informationsanlass im Casino Herisau zur bevorstehenden Abstimmung über die künftigen Gemeindestrukturen in Ausserrhoden. Der Luzerner Historiker und Autor Pirmin Meier und der aus Graubünden stammende Jurist und Experte für Referendumsrecht Alexander Zindel waren als Vortragsgäste geladen. Die Vorträge endeten in einer emotionalen Debatte und aufgeheizter Stimmung.

Rund 20 interessierte Bürgerinnen und Bürger fanden sich am Abend im Casino Herisau zum Informationsanlass des Bürgerforums ein. Reto Sonderegger, aktives Mitglied des Bürgerforums und ehemaliger Kantonsrat, erklärte zunächst die Inhalte der Abstimmungsvorlage. 

Gegenvorschlag und Eventualvorlage
Den Startstein für die Abstimmung am 26. November 2023 setzte die 2018 lancierte Volksinitiative "Starke Ausserrhoder Gemeinden", die eine Streichung der Gemeindeauflistung in der Verfassung des Kantons forderte. Nach der Rückweisung dieser Initiative arbeitete der Kantonsrat einen Gegenvorschlag aus, der durch eine Eventualvorlage ergänzt wird - beides steht nun zur Abstimmung. Die Volksinitiative wurde derweil zurückgezogen. Der Gegenvorschlag schlägt die Fusion auf drei bis fünf Gemeinden vor. Der Eventualvorschlag beinhaltet die Streichung der Gemeindeauflistung in der Verfassung.

Von oben vorgegeben oder von unten aufgebaut
Der Gegenvorschlag ermöglicht dem Kanton, die Federführung in der Neuordnung der Gemeinden und der Gesetzesausarbeitung zu übernehmen. Die Eventualvorlage hingegen eröffne den Gemeinden die Möglichkeit auf freiwilliger Basis zu fusionieren - der Kanton sichert dabei administrative und finanzielle Unterstützung zu. 

Bürgerforum plädiert für zwei Nein-Voten
Das Bürgerforum empfiehlt den Wählerinnen und Wählern sowohl den Gegenvorschlag als auch die Eventualvorlage abzulehnen. Allenfalls sei bei der Stichfrage der Eventualvorlage die Priorität einzuräumen. "Wir sind der Meinung, dass eine allfällige Fusion nur von den Gemeinden selbst angestrebt werden sollte", so Sonderegger. So sähe man die Notwendigkeit einer "erzwungenen Fusion" nicht, liefen der Gemeindebetrieb und die Zusammenarbeit doch gut. "Der ausgearbeitete Gegenvorschlag des Kantonsrates geht viel weiter als die ursprüngliche Initiative und greift zu stark in die Gemeindeautonomie ein", so Sonderegger.

Alexander Zindel befürwortet Fusionen, wenn sie von den Gemeinden selbst initiiert werden. Bild: herisau24.ch/Vanessa Vogt

Gewollte Fusionen machen Sinn
Alexander Zindel, Jurist und Experte für Referendumsrecht, unterstrich in seinem Vortrag zum Thema "Gemeindefusionen: Wann machen sie Sinn? Wann nicht?" die Bedeutung der intrinsischen Motivation von Gemeinden für erfolgreiche Fusionen. Gemeindefusionen könnten sehr gut organisiert werden - insbesondere in kleineren Kantonen. "Aber dabei darf die Gemeindeautonomie nicht zwanghaft untergraben werden", sagt Zindel. In Graubünden habe es bereits zahlreiche Fusionen gegeben, diese seien jedoch immer willkommen gewesen. "Die Gemeinden waren Anstossende und Ausarbeitende zugleich, so blieb die Autonomie auf eidgenössischer Ebene garantiert." Die Fusion der Ausserrhoder Kantone sei speziell, da sie vom Kanton vorgeschlagen wurde und organisiert würde. 

Kanton sollte nur unterstützen, nicht übersteuern
Eine federführende Funktion des Kantons bei Fusionen sieht Zindel kritisch: "Übernimmt der Kanton im Fusionsprozess die Macht, geschieht dies auf Kosten des Selbstverständnisses, der Selbstbestimmung und der Heimatidentifikation der Gemeinden." Das sei mehr als bedenklich: "Gemeinden müssen lernen, dass auch sie das Fusionsboot steuern können, aber es wäre fatal, das Ruder zu früh bedenkenlos aus der Hand zu geben."

Eventualvorlage ermöglicht künftige Fusionen
Zindel empfiehlt daher, sowohl Vorlage als auch Eventualvorschlag abzulehnen, wenn man der Meinung sei, der Gemeindebetrieb laufe intakt und es bedürfe keiner Zusammenschlüsse. Sollte es jedoch den Wunsch nach Fusion innerhalb der Gemeinden geben, sähe er die Annahme der Eventualvorlage als zielführend, um so den Boden für gewollte Vereinigungen zu bereiten.

Bürger geben Veränderungen vor
Eine historische Interpretation des Abstimmungsgegenstandes lieferte der Historiker und Autor Pirmin Meier: Seit jeher bestimme die Ausserrhoder Bevölkerung selbst über die Besetzung der Ämter in den Gemeinden und deren Strukturen - so direkt und detailliert wie kaum in einem anderen Kanton. Allfällige Veränderungen seien stets von "unten herauf" - also aus den eigenen Reihen - entstanden. Die Abstimmungsvorlage gehe seines Erachtens jedoch weiter, als die Stimmen aus der Bevölkerung forderten.

Fusionen können zielführend sein
Gemeindefusionen seien wichtig und an zahlreichen Stellen wertvoll: "Erfolgt die Besetzung von Ämtern schleppend bis gar nicht, macht es durchaus Sinn, dass Gemeinden fusionieren." In Städten wie Zürich oder Luzern stellten sich teilweise Hunderte von Leuten zur Wahl für die Besetzung nur eines Amtes. "In kleineren Gemeinden hingegen findet sich oftmals nicht eine Person." Dem könne durch Zusammenschlüsse entgegengewirkt werden.

Gegen Machtverlust
Die Abstimmungsvorlage verletze jedoch das international angewendete, wichtige Subsidiaritätsprinzip: Auf die Situation bezogen gäbe dieses vor, dass Gemeinden sich zunächst selbst und untereinander helfen sollten, bevor der Kanton oder der Bund eingreifen. Auch Meier sieht eine zu starke Einmischung des Kantons als kritisch: "Die Macht der Gemeinden - ihre Autonomie - sollte nicht unbedacht aus der Hand gegeben werden. Sie sollen selbst bestimmen - nicht der Staat."

Pirmin Meier referiert über die elementare und historisch bedingte Selbstbestimmung der Gemeinden. Bild: herisau24.ch/Vanessa Vogt

Publikum agiert emotional und gereizt
Dass das Thema die Bürgerinnen und Bürger emotional aufwühlt, wird am Informationsanlass deutlich: Während des Vortrages zeigten mehrere Personen auf, die ungeduldig eine Stellungnahme forderten oder Vortragsinhalte kritisierten. "Wir sind nicht hier, um über Vergangenes zu reden, sondern wollen wissen, was wir heute entscheiden sollen", so eine Zuhörerin. Sowohl Befürworter als auch Gegner der Vorlage meldeten sich wiederholt zu Wort. Gleich mehrfach nahm auch der anwesende SVP-Kantonsrat Jörg Schmid Stellung zu Meldungen aus dem Publikum. Deutlich wurde dabei eine grosse Unsicherheit in Bezug auf die Interpretation der Gesetzesvorlage und des Eventualvorschlags sowie die Konsequenzen der Annahme oder Ablehnung. "Der Anlass sollte zur Meinungsbildung beitragen", so Sonderegger. "Wir hoffen, dass jeder aus den Vorträgen etwas mitnehmen konnte."

heriau24.ch / Vanessa Vogt