Die bevorstehende Abstimmung über die Vereinigung von 20 Gemeinden in Ausserrhoden ist kein Novum in der Schweiz: Der eine oder andere mag sich noch daran erinnern, dass vor 17 Jahren, am 7. Mai 2006, der Kanton Glarus über eine ähnliche „Mega-Fusion“ abgestimmt hat. Damals wurden 25 Gemeinden auf einer Fläche von 685 km2 zu drei Einheitsgemeinden fusioniert – die 20 ausserrhodischen Gemeinden erstrecken sich heute auf einer Fläche von 243 km2. Der Kanton ist somit viel stärker fragmentiert, als es Glarus damals war – doch gilt das auch für die Zusammenarbeit?
Gründe sprachen für Fusion
An diesem sonnigen Maitag war nicht nur das Wetter unverhältnismässig warm: Die Landsgemeinde in Glarus wurde zu einer der hitzigsten Abstimmungen der Geschichte. Abgestimmt werden sollte über den Zusammenschluss der Glarner Gemeinden - dereinst noch 25 - sowie zahlreichen Schul-, Fürsorge- und Bürgergemeinden. Parlament und Regierung schlugen die Vereinigung auf 10 Gemeinden vor. Gründe dafür waren zum einen die nachlassende Bereitschaft in der Bevölkerung, Ämter in den Gemeinden (ehrenamtlich) zu besetzen und die finanzielle Angeschlagenheit einiger Gemeinden.
Radikale Überraschung
„Dass sich etwas ändern musste, um handlungs- und wettbewerbsfähig zu bleiben, war den meisten klar“, sagt Hans Rudolf Forrer, Gemeindepräsident der heute flächenmässig grössten Glarner Gemeinde Glarus Süd. Doch zur grossen Überraschung stand auf der Landsgemeinde plötzlich nicht nur der Parlamentsvorschlag, sondern auch die radikale Reduktion auf drei Gemeinden zur Abstimmung: Kurt Reifler, Bürger der Gemeinde Schwanden, stellte den Abänderungsantrag – und erhielt neben der Zustimmung der Sympathisanten auch die Zustimmung derer, die eine Fusion eigentlich gar nicht wollten, erinnert sich Forrer. „Natürlich hatten wir schon von dem radikalen Vorschlag gehört, aber dass er wirklich zur Annahme kommt, geschah unerwartet.“ Ebenso dass nicht die Jungen Grünen diesen gestellt hätten.
Ergebnis in Frage gestellt – Landsgemeinde auch?
Da das Ergebnis an diesem Tag sehr knapp ausfiel, sammelten Gegner der Fusion Unterschriften und erwirkten eine ausserordentliche Landsgemeinde in 2007: Bei dieser wurde nochmals über die konkrete Reduktion auf drei Gemeinden abgestimmt – und mit einer 2/3-Mehrheit angenommen. „Danach hat es noch Störer gegeben, aber die Deutlichkeit der Annahme hat die Akzeptanz bei vielen begünstigt“, erinnert sich Forrer. Die Landsgemeinde als oberstes Legislativorgan werde stark geachtet: „Hätte man das Ergebnis der ersten Landsgemeinde nicht deutlich replizieren können, hätte man im Nachhinein auch das Instrument der Landsgemeinde an sich in Frage stellen können.“ Seitdem gibt es drei Gemeinden im Kanton – so wenige, wie in keinem anderen der Schweiz.
Regierung übernimmt Leitung
Bereits vor der Abstimmung war klar, dass die Regierung die Strukturreform anleiten wird. Das sei auch zielführend, findet Thomas Kistler, Gemeindepräsident Glarus Nord: „Es muss eine übergeordnete Instanz geben, die den Lead übernimmt – rein auf Gemeindebene wäre es sonst von Beginn an schon zu schwierigen Diskussionen gekommen.“ Die Regierung rief zwei Projektgruppen ins Leben, die sich um die Ausgestaltung kümmerten: Auf kantonaler Ebene unter Einbezug von Gemeindestimmen wurden die Kantonalisierung des Sozial- und Vormundschaftswesens, die Rahmenbedingungen für die Gemeinden, die Umsetzungsarbeiten und das Controlling gebündelt. Die zweite Projektgruppe bestand aus dem Zusammenschluss von Fachleuten und Amtsträgern der Gemeinden, die bereits in Glarus, Glarus Süd und Glarus Nord eingeteilt waren.
Künftige Gemeindeaufteilung war bekannt
„Dass es diese Aufteilung geben wird, war eigentlich klar, war doch das Glarnerland in Unter-, Mittel- und Hinterland aufgeteilt“, erklärt Forrer. Allgemein sei vor den Landsgemeinden die Bevölkerung stets gut informiert worden, so dass keine Unklarheiten über Abstimmungsgegenstände herrschten. „Das ist vielleicht der grösste Unterschied zur Abstimmung in Ausserrhoden“, vermutet er. In Glarus habe die Bevölkerung mit der Zahl 10 eine genaue Anzahl und schon grobe Details zur Vereinigung gekannt. Der Wortlaut des Gegenvorschlags der ausserrhodischen Regierung ‚auf drei bis fünf Gemeinden‘ ohne Hintergrunddetails sei schwammig.
Gleichberechtigte Gemeinden und Kampfwahlen
Seit der Fusion ist die Besetzung der Ämter wieder leicht: „Es finden richtige Kampfwahlen statt – man muss nicht mehr krampfhaft suchen: Es bewerben sich Personen, die wirklich Zeit und Lust darauf haben, etwas zu bewegen“, sagt Forrer. Zudem sei die Gleichberechtigung unter den Dörfern grösser und man können über eine grössere Fläche einheitlich entscheiden. „Früher wurde in den Gemeinden oft viel zu lang über Details gestritten – das hat aufgehalten und vom Wesentlichen abgelenkt.“ Heute könnten Entscheidungen viel schneller gefällt werden, findet auch Kistler.