Rund 50 Personen fanden sich am Montag, 5. Februar 2024, im evangelischen Gemeindehaus zur Informationsveranstaltung «Umgestaltung Bahnhofstrasse Nord» ein. Die hohe Beteiligung zeigt, dass die Gestaltung des Bahnhofs von vitalem Interesse für die Herisauer ist. «Auch die Gemeinde Herisau hat ein hohes Interesse an der baulichen Entwicklung dieser aus ortsbaulicher Sicht bedeutenden Schnittstelle zwischen dem Bahnareal und der Bahnhofstrasse», sagt Sandra Nater, Gemeindevizepräsidentin und Ressortchefin Hochbau / Ortsplanung, bei ihrer Begrüssung.
Intuitiver Übergang zum Zentrum
Schon lang verfolge man den Gedanken, den historisch eher abseits gelegenen Bahnhof besser an die Dorfmitte anzubinden. «Ankommende sollen über eine attraktive Gestaltung wissen: Hier geht es zum Zentrum», sagt Nater. Die sinnvolle Verbindung des Bahnhofs mit dem Ortskern – unter Achtung des Ortsbildes, der besonderen Topografie, sozioökonomischer Faktoren und eines nachhaltigen Nutzungskonzepts - steht dabei im Vordergrund. Darüber hinaus spielen Barrierefreiheit und Inklusion eine massgebende Rolle, denn die Verbindung von Bahnhof und Zentrum kann wahrscheinlich nur über ein Plateau erreicht werden. «Dieses muss für jeden einfach und intuitiv erreichbar sein – es darf beim Weg nach oben keine Fragezeichen oder langes Suchen, z. B. nach einem Lift oder Aufgang, geben», sagt Andreas Filosi, Leiter Hochbau und Ortsplanung.
Höhenunterschied harmonisch ausgleichen
«Die Topografie des Gebiets mit seinen grossen Höhenunterschieden ist eine Herausforderung - eigentlich der Knackpunkt in der ganzen Studie», erklärt Filosi weiter. Es sei immer das Ziel, in den Dimensionen möglichst harmonisch und dezent zu bleiben. Ebenso essenziell sei es, einen zielführenden Nutzungsmix zu erreichen. Man wolle nicht nur Wohnungen, nur Gewerbe oder nur Gesundheitseinrichtungen errichten: «Auf dem Plateau über dem Bahnhof soll ein sinnvolles Angebot entstehen, dass wiederum nicht zu einer grossen zusätzlichen Verkehrsbelastung führt oder die Parksituation negativ beeinflusst.»
Überdimensionierte Bauten meiden
Zudem müsse darauf geachtet werden, dass die künftige Überbauung nicht zu voluminös in Erscheinung trete und sich architektonisch in die Landschaft und das Ortsbild einfüge. «Der Ausdruck der Überbauung soll Herisau reflektieren – und auch noch genug Raum für öffentliche Plätze und Naturbelassenheit bieten», so Filosi. Rechtlich gesehen dürfen die neuen Volumen ab Niveau Bahnhofstrasse viergeschossig und ab Niveau Bahnhofplatz siebengeschossig in Erscheinung treten. Dieses Volumen soll aber nicht voll ausgeschöpft werden.
Kein Wettbewerbsverfahren
An der Informationsveranstaltung wurden alle drei eingereichten Konzepte vorgestellt: Anhand der Beispiele und Erklärungen zeigte die Gemeinde auf, weshalb das Konzept der Firma Helsinki die optimale Grundlage für die weitere Planung darstellt. Für die Bevölkerung wichtig zu wissen sei, dass es sich auch beim ausgewählten Konzept nicht um eine endgültige Visualisierung und einen konkreten Umsetzungsplan handelt, betont Gemeindevizepräsidentin Nater: «Anders als bei einem Wettbewerb ist die Ausarbeitung im Studienverfahren lediglich ein Vorschlag – eine Sammlung von Ideen, auf deren Grundlage wir weiterarbeiten und konkreter werden müssen.» Die Konzepte zeigten Aspekte auf, über die man diskutieren und anhand derer man weitere Entscheidung treffen könne. Dabei sei nicht nur das Gewinnerkonzept ausschlaggebend. «Aus allen drei Projekten konnten wir Erkenntnisse gewinnen und dementsprechend auch unsere Wünsche konkretisieren.»
Fachgremium beurteilt Projekte
Die Ausarbeitung der Konzepte beanspruchte rund drei Jahre. Die Schlussabgabe für die konzeptionellen Projekte erfolgte im September 2023. Anlässlich einer Zwischenbesprechung konnten die drei eingeladenen Büros den Stand ihrer Konzepte vorstellen. Aufgrund der Rückmeldungen aus dem Beurteilungsgremium haben die Büros ihre Konzepte überarbeitet, angepasst und verfeinert. Verantwortlich für die Begutachtung und letztliche Auswahl des «Gewinnerkonzepts» war eine Jury aus mehreren Personen: Darunter neben externen Fachleuten aus Städtebau, Architektur und Landschaftsarchitektur auch Fachexperten aus den Bereichen Verkehrsplanung, Raumplanung, Ortsplanung, Sozioökonomie Wirtschaft und Standortförderung. Ebenso im Beurteilungsgremium vertreten waren Vertreter der Gemeinde und die beiden Grundeigentümervertreter der betroffenen Parzellen (Direktor Thomas Baumgartner für die Appenzeller Bahnen, Mustafa Yilmaz für die VIP Swiss AG). Die Verfahrensbegleitung erfolgte durch Bruno Bottlang (Atelier Bottlang AG, St. Gallen).
Konstruktives Miteinander
«Die Gespräche und der Austausch haben zu jeder Zeit auf Augenhöhe stattgefunden», erklärt Filosi, Leiter für Hochbau und Ortsplanung. Insbesondere die Zusammenarbeit und das aufeinander zugehen der beiden von der Umgestaltung betroffenen Grundeigentümer sei lobenswert. «Beide Seiten sind an einer sinnvollen Lösung interessiert und bringen sich immer auch in Hinblick auf das Bevölkerungsinteresse ein.» VIP Swiss AG Geschäftsführer Yilmaz betont: «Es ist uns wichtig, gemeinsam eine städtebauliche Lösung zu finden, die auch eine Bereicherung für Herisau darstellt.»
Barrierefreier Aufgang zum Dorf
Das Gewinnerkonzept des Büro Helsinki beinhaltet eine öffentliche Treppe, deren Aufgang mit Blick zur Kirche ausgerichtet ist. Die vier gegliederten Baukörper folgen der städtebaulichen Logik der Bahnhofstrasse. «Die Ausgestaltung Richtung Zentrum zeichnet sich durch einen klar ersichtlichen «shortcut» aus, der intuitiv und inklusionsgerecht ausgestaltet wurde», erklärt Fachgremiumsmitglied Anne Uhlmann (Bur Architekten AG). Der Bahnhof sei durch den geplanten Sockel zudem klar vom Dorfkern getrennt. «Damit hat das Büro Helsinki eine solide geometrische Antwort auf die topografische Besonderheit des Gebiets gegeben.»
Weniger Beton, mehr Natur
Die Volumetrie sei hinreichend beachtet worden: Die eingeplanten Überbauungen seien kleiner als in den anderen Konzepten. «So bietet sich Raum für Naturbelassenheit und öffentlich nutzbare Flächen, die man bevölkerungsorientiert ausgestalten kann.» So könne zum Beispiel Wohnraum mit qualitativem Aussenraum gestaltet werden. Zudem wirkten die Gebäude beim Blick vom Bahnhofsareal nach oben nicht erdrückend, sagt Uhlmann. Am Ende habe man sich für das Konzept entschieden, da es die beste Grundlage für die Weiterbearbeitung darstelle.
Gleiszugang und Zugbindung noch offen
Im nächsten Schritt wolle man Konkretisieren. «Die gezeigten Visualisierungen zeigen nur eine Möglichkeit – die Bilder werden sich vielleicht noch hundertmal ändern», gibt Uhlmann zu bedenken. Ein «wunder Punkt» der Konzeptarbeiten ist, dass die Zugthematik nicht in die Tiefe eingeplant wurde. Dies wurde auch aus dem Publikum bemängelt. Ziel sei es, auch dahingehend detaillierter zu werden: «In den kommenden Projektphasen werden wir bahnthematische Fragen angehen, wie die Gleiserreichbarkeit oder Schienenübergänge.» Dazu sei der vertiefte Austausch mit den Appenzeller Bahnen essenziell. Die Arbeit des Gremiums geht nun in die nächste Runde – gemeinsam mit dem Büro Helsinki Zürich Office.
Klare Antworten und wunde Punkte
Beim diesem herrscht Freude: Architekt Tommi Mäkinen ist überzeugt, dass man durch das Konzept eine solide Grundlage geschaffen habe. «Aber wir sind erst am Beginn eines noch jahrelang andauernden Prozesses: Es gilt nun klare Antworten auf die Herausforderungen zu liefern und allfällige wunde Punkte zu verbessern», erklärt er. In der weiteren Planung sei es ihnen wichtig, die Schönheit und die ortseigene Identität von Herisau trotz der Anforderung an die maximale Funktionalität nie aus den Augen zu verlieren.
Finanzierung auch durch Investoren
Die Finanzierung des Projekts läuft über Investoren. «Mit der Auswahl des Gewinnerkonzeptes haben wir eine interessante Grundlage zur weiteren Ausarbeitung gewählt, die auch für Investoren interessant ist», sagt Thomas Baumgartner, Direktor der Appenzeller Bahnen. Auch Bruno Bottlang, Verfahrensleiter des Studienauftrages, ist sich der Bereitschaft von Investoren sicher: «Anhand des Konzeptes können wir jetzt etwas Konkretes zeigen – der Prozess ist aber iterativ.» An dieser Stelle müsse die Bereitschaft potenzieller Geldgeber abgeholt werden, die nächsten Schritte der Konkretisierung zu begleiten.
Mittelfristiger Zeithorizont
Die Realisierung des Projekts hänge massgeblich vom Genehmigungsverfahren für den Sondernutzungsplan und dem nachgelagerten Baugesuchsverfahren ab, sagt der Leiter für Hochbau und Ortsplanung Andreas Filosi. Zudem seien die Verhandlungen mit den Eigentümern massgebend. «Ohne deren Einwilligung und Beteiligung funktioniert es nicht.» Zum zeitlichen Horizont, in dem ein solches Projekt realisiert werden könnte, konnte Andreas Filosi, Leiter der Abteilung Hochbau/Ortsplanung keine genauen Angaben machen, da es sich um Fremdgrundstücke handelt. Hingegen sollte der im Rahmen des Gesamtprojektes "Bahnhofplatz mit Bushof" geplante Liftturm, mit dem die behindertengerechte und direkte Verbindung ins Quartier Ebnet sichergestellt wird, in den nächsten drei bis vier Jahren realisiert werden.