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Kultur
21.02.2024

Es lebe der Herisauer Bloch

Die Musikanten sorgen auf dem Bloch sitzend für gute Unterhaltung auf der gesamten Strecke. Bild: Vanessa Vogt
Am Montag, 19. Februar, zog die Blochgesellschaft Herisau zum zwölften Mal den rund 1800 Kilogramm schweren Stamm einer Rottanne durch das Appenzeller Hinterland. Rund 500 Herisauer/innen nahmen an der abendlichen Versteigerung sowie dem anschliessenden Bloch-Ball mit Talerschmiede teil. Eine Augenschein auf eine unvergleichbare Tradition, die sich zu erleben lohnt.

Es ist kurz vor 20 Uhr am Abend des Montags, 19. Februar. Beim Weg zur Chälblihalle stehen vereinzelt Leute an der Strasse und vorm Eingang – in der Halle selbst herrscht noch gähnende Leere. Die Ruhe vor dem Sturm, weiss man knapp 10 Minuten später. Denn mit dem Einreiten des Vorreiters und seiner ebenfalls berittenen Herolde nimmt ein einmaliges Spektakel seinen Lauf: Es wird laut, immer wieder surren Schüsse durch die Luft. Den Reitern und das Klappern der Pferdehufe folgt die Zugmannschaft aus Zimmermännern, Bauern, Sennen, Köchen und anderen traditionellen Berufen – schwer lenken sie den Wagen mit dem darauf liegenden 110-jährigen Baumstamm um die Kurve Richtung Eingang der Chälblihalle.

Traditionelle Besetzung
Auf dem Blochwagen steht der Fuhrmann, die Musikanten und der Schmied sitzen auf dem Baumstamm: unermüdlich musizierend und unter Rauch schmiedend folgen sie ihrer Berufung. Auch die Pajassen – die Kässelibuben – und der Wildhüter mit seinem Bär, der der Abschreckung von Baum-Feinden dient, laufen parallel zum Zug und gehen durch die Mengen. Als Abschluss des grossen Tross fungiert der Förster, Reto Weiler, auf seinem edlen Ross Lara, der später auch die Bloch-Versteigerung leiten wird. Es folgen eine alte Feuerwehr und weitere Fuhrwagen mit Musik und lautem Krach als unterstützende Nachhut zum traditionellen Bloch-Gespann.

1.8 Tonnen Baum
Über 30 Kilometer haben die Männer den rund 1800 Kilogramm schweren Baumstamm an diesem Tag gezogen. Eine Rottanne, wie sie im Buch steht – ausgesucht vom echten Förster, gesponsert von der Gemeinde Herisau. Bereits um 4:30 Uhr morgens startete der Tross beim Restaurant Schafräti. Über die Alpsteinstrasse ging es in Richtung Waldstatt, Schönengrund, über die Risi bis nach Schwellbrunn und dann zurück nach Herisau. Entlang der Route kehrten die Männer hier und da für Pausen und Verpflegung ein, werden an vielen Stellen «usgehäbet». «Auf der ganzen Strecke haben wir am Strassenrand immer wieder Zuschauer», sagt Hampi Bischofberger, Präsident der Blochgesellschaft und Fuhrmann im Bloch-Tross. «Es ist schön zu sehen, dass der Brauch so beliebt ist.» Das Highlight, das nach dem anstrengenden Tag noch einmal richtig Kraft gebe, sei für alle jedoch die Ankunft an der Chälblihalle. «Dann laufen wir zu Hochtouren auf – es ist ein ganz spezieller Abend. Man heisst uns so herzlich willkommen», sagt Bischofberger.

Besuchermeer an der Blochversteigerung
Es ist unglaublich, wie diese 45 Männer seit den frühsten Morgenstunden den gewaltigen Baumstamm durchs Appenzeller Hinterland gezogen haben – und immer noch mit strahlenden Augen und bester Laune vor die Chälblihalle marschieren. Sicher hat der ein oder andere müde Beine – davon merkt man in diesem Moment jedoch nichts. Beim Blick auf den Platz vor der Halle sieht man die Belohnung für die Anstrengungen der Mannschaft: Der vorerst leere Platz hat sich verwandelt in ein Meer aus Menschen, die alle gespannt auf das Ereignis vor den Hallenwänden schauen. Gegen 500 Leute stehen dort, lauschen, lachen, nehmen Teil an der Tradition, die nun wieder so präsent ist, wie nie zuvor. Man kann nur ahnen, wie stolz die Männer sein müssen, als Dank für ihren anstrengenden Marsch nun diese Bewunderung zu erleben.

Nach der Säge kommt der Hammer
Der Förster, Reto Weiler, reitet vor den Bloch und preist den dicken Rottannenstamm an: «Rond 1.8 Kubik döt diä Rottanne messä, ischt e stolzi Zahl – da tör mer nüd vergessä.» Das ist der Moment, auf den viele gewartet haben. Es geht los: Das Ungestüm von Baum kommt unter den Hammer. Weiler spricht mit lauter, kräftiger Stimme: «Drom fanget mer gad aa mit dä Gant, denn hämer dä Chäufer au bald bekannt. Wer macht e Bott?» 200 Franken werden in Sekunden zu 500, 700 und 1000 Franken. Bei 1500 Franken werden die Stimmen aus dem Publikum schon weniger.

Aus Stroh mach Holz - für 3500 CHF
«Schwachköpfe! Alles Schwachköpfe – jetzt bietet Mal», tönt es aus der Frontreihe hinter Weiler. Armin Rüegg, Inhaber eines Restaurants in Schönengrund sowie Heu und Stroh-Händler, hat die ersten Lacher auf seiner Seite – und bietet mit einem Schlag 2000 Franken. Gegenspieler hat er noch zwei aus dem Publikum. Bis 3000 Franken liefern sie sich einen Schlagabtausch. Kurz vor «zum Dritten» klettert der Preis auf 3100. «Da lass ich mich nicht lumpen», sagt Rüegg ein letztes Mal. «So ein lächerliches Angebot» - und bietet 3500 Franken. Das finale Gebot! «3500 Franken zum Ersten, 3500 Franken zum Zweiten – und 3500 Franken zum Dritten Mal», sagt Weiler und strahlt Rüegg an. «Merci vielmol!». Jetzt hat Rüegg erfolgreich sein zu Geld gemachtes Stroh in ordentlich Holz vor der Hütte verwandelt. Herzliche Gratulation! Die Versteigerung 2024 ist Geschichte.

Bloch-Ball mit Talerversteigerung
Rüegg ist glücklich und strahlt an dem Abend in die Kamera. Worte zum Baumkauf wollte er noch keine sprechen – das wird an anderer Stelle nachgeholt. Denn an diesem Abend ging es auch für ihn nach zahlreichen Gratulationen weiter zum Fest in die Chälblihalle. Dort wurde am Bloch-Ball bei Musik und Zäuerli die Blochtradition von rund 350 Herisauer/innen gebührend gefeiert. Ein weiteres Highlight zur späteren Stunde war die Herstellung und Versteigerung des Silbertalers von der Blochgesellschaft. Vor der Halle aus 100 Gramm reinem Silber vom Bloch-Schmied gegossen, auf der Bühne vom Bären mit Schablone in Form geschlagen und dann für 2200 Franken an Konrad Dietrich, Inhaber vom Restaurant Schafräti, verkauft.

Das Unmögliche wird möglich
Dietrich selbst ist eigentlich Teil der Blochmannschaft – als aktiver Reiter gehört er mit zum Tross. Aus gesundheitlichen Gründen konnte er dieses Jahr nicht teilnehmen: Diese Tatsache öffnete ihm jedoch die Tür, bei der Versteigerung mitzumachen. «Statuarisch ist es den Blochmännern verboten, an den Versteigerungen zu bieten», erklärt Förster Weiler. Mit seinem Gebot als «Invalide» hat er nun den Silbertaler als kleine Erinnerung an seine Blochzeit behalten können – und damit den anderen etwas voraus. Eine besondere Erinnerung ist der Taler auch aus einem anderen Grund: «Dietrichs Sohn hat dieses Jahr interimistisch den Bären gespielt, da der eigentliche Rollenbesetzer krank war», verrät Weiler. Der Taler wurde also zudem noch von seinem Junior geschmiedet.

Verboten, vergessen und wieder zum Leben erweckt
Vor 100 Jahren wurde das Bloch-Ziehen im Rahmen des 2. Weltkrieges verboten: Damit wurde eine lange Pause eingeläutet, die bis 2012 anhielt. Doch im Sommer 2011 vereinten sich 45 Männer mit dem Ziel, den Bloch wieder aufleben zu lassen: Sie gründeten den Verein Blochgesellschaft Herisau und mit ihm die Basis für das Fortsetzen eines lang verbotenen und dann vergessenen Ereignisses. «Die damaligen Mitglieder sind bis auf 7 Personen alle noch dabei», sagt Präsident Hampi Bischofberger. Mit Nachwuchs habe man zudem kein Problem: «Auf der Warteliste stehen rund 15 Anwärter», sagt Bischofberger. Um mitzumachen, muss man männlich, mindestens 18 Jahre und wohnhaft in Herisau sein.

Zum zwölften und nicht zum letzten Mal
Am Montag zogen die kräftigen Bloch-Männer nun zum 12. Mal den dicken Baumstamm durch das Appenzeller Hinterland – eine Sensation ohnegleichen, die am Abend wieder einmal zahlreiche Herisauer/innen in die Chälblihalle lockte und in ihren Bann schloss – denn die Ankunft des Blochs im Heimatziel ist der Anlass zum Ende der Fasnacht. Ein für Aussenstehende unvergleichbarer, einmaliger und elementarer Bestandteil der Herisauer Identität – eine Tradition, die es zu schützen und zu leben gilt: Heute, morgen und auf ewig.

Grosser Dank gilt der Blochgesellschaft und den 45 unkaputtbaren Männern, die den Bloch gezogen und den Anlass unvergesslich gemacht haben.

Der Vorreiter und die Herolde bereiten den Weg für den Blochwagen. Bild: Vanessa Vogt
Der Schmied schafft mit Rauch und Wumms den ganzen Tag auf dem Stamm. Bild: Vanessa Vogt
Der Fuhrmann und Präsident der Blochgesellschaft, Hampi Bischofberger, begrüsst die Dorfbewohner an der Chälblihalle und verliesst die Tradition. Bild: Vanessa Vogt
Vor der Chälblihalle warten rund 500 Menschen gespannt auf die Versteigerung des Blochs. Bild: Vanessa Vogt
Es geht los: Der Wildhüter führt den Förster, Reto Weiler, mit seinem Ross Lara zur Versteigerungsansprache.
Die Zugmänner erholen sich derweil von ihrem anstrengenden Marsch und baden im Applaus der Menschenmenge. Bild: Vanessa Vogt
Armin Rüegg ersteigert den Bloch für 3500 Franken - die Menge und er strahlen über beide Ohren kurz nach dem Gebotsdrittem. Bild: Vanessa Vogt
Auktionär und Förster Reto Weiler ist zufrieden mit den 3500 Franken für den Baumstamm: Da hat sich das Schleppen doch gelohnt. Bild: Vanessa Vogt
Rüegg hängt schon jetzt am Bloch - zumindest am Wappen vorm Fuhrwagen: Was daraus wird, ist noch offen. Bild: Vanessa Vogt
  • Nach der Bloch-Versteigerung folgt der gemütliche Bloch-Ball in der Chälblihalle. Bild: Vanessa Vogt
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  • Die Blochmannschaft gibt Zäuerli zum Besten - später am Abend wird noch der Silbertaler geschmiedet und versteigert. Bild: Vanessa Vogt
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  • Für die musikalische Unterhaltung dazwischen sorgt das Quartett. Bild: Vanessa Vogt
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  • Bild: Vanessa Vogt
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Vanessa Vogt