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Kanton SG
20.08.2025

Kaiserjäger Johann Konrad Stöckeler, Teil 1: Auf nach Russland!

Kaiserjäger Stöckeler um 1898 Bild: zVg
Der St.Galler Alt-Stadtarchivar Ernst Ziegler erinnert in diesem Beitrag an den Tiroler Johann Konrad Stöckeler (1877–1938), der 1914 aus Engelburg in den Ersten Weltkrieg gezogen war, in russische Kriegsgefangenschaft geriet, fliehen konnte – und sich zu Fuss zurück in die Heimat durchschlug. Im ersten Teil begleiten wir Stöckeler bis zu seiner Gefangennahme im polnischen Przemysl.

Vor vielen Jahren wurde mir im «Rössli» in Engelburg der Tiroler Kaiserjäger Johann Konrad Stöckeler als «Original» geschildert: Er habe als Österreicher den Ersten Weltkrieg mitmachen müssen und sei in russische Gefangenschaft geraten. In der Ukraine habe er pflügen müssen und einen ganzen Tag für eine Furche gebraucht. Nach dem Krieg sei er auf einmal wieder in der Engelburg aufgetaucht.

Ich spürte dem Leben dieses Mannes nach und lernte den inzwischen verstorbenen Sohn Konrad des Tiroler Kaiserjägers und russischen Kriegsgefangenen Stöckeler kennen. Von ihm erfuhr ich über das Leben des alten Engelburgers Folgendes:

Johann Konrad Stöckeler wurde 1877 in Vorarlberg geboren und erlernte den Stickereimechaniker-Beruf. 1912 zog er mit seiner Frau und seinen Söhnen Theodor (geboren 1910) und Konrad (geboren 1907) nach Engelburg und übernahm ein kleines Bauerngewerbe im «Sitterhüsli».

Im Sommer 1914 brach der Weltkrieg aus. Als gebürtiger Österreicher entschloss sich Stöckeler mitzuhelfen, den Mord der Serben am österreichischen Thronfolger zu rächen.

Hier hat Stöckeler gelebt: Im «Sitterhüsli» in Engelburg Bild: zVg

Sein Sohn erinnerte sich noch: «Beim Abschied vom ‹Sitterhüsli› begleitete ich meinen Vater bis zum Hätterensteg. Damals war ich kaum sieben Jahre alt. Als wir beim Abschied die Hände schüttelten, sagte er zu mir: ‹In spätestens sechs Monaten bin ich wieder hier.› Ich sehe noch, wie der Vater über den langen Holzsteg schritt und verschwand, um als Tiroler Kaiserjäger den Krieg gegen Russland mitzumachen.»

Johann Konrad Stöckeler hatte 1898 in Brixen die Rekrutenschule absolviert und sich um diese Zeit in Trento bei «G. Brunner & Comp., Studio d’Arte Fotografica, Via Grazioli» abkonterfeien lassen.

Im Sommer 1914 drangen in Galizien österreichisch-ungarische Armeen gegen Lublin und Cholm sowie über Lemberg vor. Sie mussten aber nach den beiden Schlachten von Lemberg im August und September 1914 den Kampf bei Rawa Ruska wegen der russischen Übermacht abbrechen.

«Es fehlte bereits an Munition und Lebensmitteln, die Sanitätsanstalten waren überfüllt, denn auch Ruhr und Typhus verlangten sehr viele Opfer.»

Im Oktober 1914 kam Kaiserjäger Stöckeler in die Festung Przemysl in Galizien (heute Polen). «Die Russen bestürmten vom 5. bis zum 7. Oktober Przemysl unter den schwersten Verlusten. Als die österreichische Armee wieder vorrückte, zogen sie sich hinter den San zurück, gruben sich ein und wiesen alle Vorstösse zurück. Es fehlte den Österreichern eben an Artillerie, an Gebirgsgeschützen sowohl wie an schweren Feldgeschützen. Nun gruben auch sie sich ein, litten aber furchtbar unter der Cholera. Auch die Verpflegung liess alles zu wünschen übrig, weil die Russen die Bahnen zerstört hatten; die Lebensmittel mussten aus Przemysl mit Tragtieren und Trägern zugeführt werden. An einen Erfolg war nicht zu denken. […] Daher allgemeiner Rückzug. Die Deutschen nach Thorn, die I. Armee nach Krakau, eine grössere Kampfgruppe wurde zum Schutze Preussisch-Schlesiens bestimmt, die anderen kamen in die Karpaten; das ausgesogene Przemysl wurde sich selbst überlassen.»

Vater Stöckeler mit seiner Hauskapelle «Zum Baumgarten» vor dem Sitterhüsli Bild: zVg

Am 28. Oktober 1914 schrieb Konrad Stöckeler aus Przemysl seiner Frau Rosa Stöckeler in Engelburg auf einer Feldpostkarte, die sie am 11. November 1914 erhielt, folgende Worte:

Werte Rosa,
Dein Schreiben vom 20. Oktober habe ich mit Freuden erhalten und vernommen, dass Herr Büsser durch einen Unfall den Tod fand. R.I.P.
Wie geht’s Herrn Hauser (im Kobel); kommen sie auch hie und da ins Holz? Die Bäume soll der Vetter aufbinden (ich glaube nicht, dass ich dies Jahr nach Hause kommen werde), da selbe sehr Not leiden würden betreffend Wind.
Und hat Tanner schon etwas gedüngt bei uns? Wie geht’s betreffend Unterstützung in Hohenweiler?
Schreibe mir einen offenen Brief und spreche mit meiner Mutter in Höchst. Du hast soviel Recht wie jedes andere von Österreich. Im weiteren bin ich ordentlich gesund, was ich bei Euch hoffe, und lass den zwei Buben baldige Genesung wünschen.
Gruss an alle, die mir Nachfragen ...

Nebst einem Poststempel von Engelburg trägt die Karte den Stempel des «K. k. Landsturminfanterieregiment Nr. II» und jenen des «K. u. K. Feldpostamt 152, 29. X. 14» sowie den Absender von «Stöckeler Kd., II. Lst. If. Rgt. I. Comp., Feldpost 152».

Am 22. März 1915 musste sich die Festung Przemysl ergeben, weil sie ausgehungert war, und der Kaiserjäger Stöckeler geriet mit zehntausenden von Soldaten in russische Gefangenschaft. In Viehwagen wurden er und viele andere Vorarlberger nach Russland verfrachtet.

Lesen Sie im zweiten Teil, wie Stöckeler fliehen und in die Schweiz zurückkehren konnte.

Ernst Ziegler, ehem. St.Galler Stadtarchivar